Was macht einen Jugendgottesdienst zum Jugendgottesdienst ?

- von René Frank -

 

„Sonntag Abend, 18.00 Uhr Jugendgottesdienst in der Stadtkirche !!!!“

So wird häufig auf Plakaten, in Lokalzeitungen, Gemeindebriefen oder Kirchenrundschreiben geworben.
Doch wer wird hier umworben, und was verbirgt sich hinter dem sog. „Jugendgottesdienst“ ?
Diesen Fragen werde ich im folgenden Kapitel nachgehen.

 

  1. Begrifflichkeit „Jugend“

 Wenn wir von Jugendgottesdiensten reden, ist es erst mal wichtig zu wissen, welcher Altersabschnitt in unserer Gesellschaft als „Jugend“ gilt. Die lexikalische Erklärung hierzu heißt: „Jugend ist der Wachstumsabschnitt bis zur Reife eines Lebewesens; beim Menschen die Phase der körperlichen und geistigen Entwicklung zwischen Kindheit und abgeschlossener Pubertät, aber auch des Beginns der Herauslösung des einzelnen aus der Familie und der Einflussnahme der Arbeitswelt auf die Entwicklung des jugendlichen Selbstverständnisses“ (Bassermann, 1988)

Diese Definition von Jugend lässt die Altersabgrenzung nach oben und unten offen. Wenngleich auch Jugendliche als „Teenager“ bezeichnet werden und demnach nur junge Menschen zwischen 13 (ThirTEEN) und 19 (NineTEEN) Jahren gemeint sein können, dehnen sich die Grenzen der Jugendphase in jüngster Zeit immer mehr aus. Die Encarta-Enzyklopädie von Microsoft schreibt hierzu: „In modernen Gesellschaften hat sich der Lebensabschnitt „Jugend“ immer mehr verlängert, da der Eintritt ins Erwachsenenalter – ungenau dadurch bestimmt, wann eine Person in das Berufsleben eintritt oder eine eigene Familie gründet – immer später erfolgt (so genannte Postadoleszenz). Auch die Abgrenzung von Kindes- und Jugendalter ist schwierig geworden, und je nachdem ob stärker die biologischen, die kognitiven oder die emotional-sozialen Aspekte der Entwicklung betont werden, ergeben sich unterschiedliche Abgrenzungskriterien zwischen Kindheit und Jugend.“ (Encarta 2003)

Somit lässt sich der Lebensabschnitt „Jugend“ auf eine Altersspanne von frühestens 12 Jahren bis spätestens 30 Jahren (z.B. gewähren viele Fluggesellschaften noch bis 25 oder gar 30 Jahre, Jugend- und Studentenrabatte auf ihre Flüge), festlegen, je nach Ausbildung und gesellschaftlichem Stand.

Und für diese Altersschicht wird nun von Gemeinden ein spezieller Gottesdienst angeboten ?

 

  1. Jugend mit eigenem Gottesdienst

 Die Idee ist gut: Junge Menschen verbringen oft die Wochenendnächte in Discos oder auf Partys und sind selten bereit, am Sonntagmorgen um 9.00 Uhr oder 10.00 Uhr einen Gottesdienst zu besuchen, denn zu dieser Zeit wird noch geschlafen. Also besteht die einfache Lösung darin, den Gottesdienst auf den frühen Abend zu verlegen, ihn speziell als Jugendgottesdienst auszuweisen und schon hat man erreicht, was man wollte...

Leider ging dieses Konzept aber nicht immer so auf, wie es gedacht war, denn nur eine andere Uhrzeit macht einen Gottesdienst noch nicht sonderlich attraktiver für einen Jugendlichen.

Man stelle sich folgende Situation vor: „Mit einem ächzenden Quietschen wird die schwere Kirchentüre geöffnet. Man kommt vom hellen Tageslicht in einen großen Raum mit Kerzenschein, häufig keinen Fenstern und beklemmender Stille, trotz der Tatsache, dass schon viele Menschen in diesem Raum sind. Leise sucht man sich einen Platz, um bloß nicht die anderen Gottesdienstbesucher zu stören, die anscheinend dabei sind nichts zu tun, oder sie beten im Stillen. Hat man schließlich einen Platz gefunden, setzt man sich ruhig hin, wagt es nicht, seinen Nachbarn anzusprechen und wartet bis der Gottesdienst beginnt.

Pompös setzt die Orgel mit einem Präludium aus dem 17.Jahrhundert ein, die Gemeinde beteiligt sich am Gottesdienst mit festgelegten Akklamationen und alten Liedern, deren Texte sprachlich längst überholt sind (z.B. „Mein ganzes Herz erhebet dich“ GL, Nr.264) und darf sich durch abwechslungsreiches Setzen, Stellen und Knien sogar körperlich betätigen. Immerhin wird in der kath. Kirche der Nachbar auch einmal bedacht und angeschaut, wenn der Friedensgruß gewünscht wird.“

Diese Beschreibung ist natürlich etwas überspitzt dargestellt, aber sie zeigt auf, wie das gottesdienstliche Ritual auf junge Menschen, die eben noch MTV geschaut haben, wirken kann.

Aber was ändern ?

  

  1. Neue Lieder für die Jugend

 Gute Impulse kamen aus der Entwicklung des Neuen Geistlichen Liedes (NGL), das die Kirchenmusik seit den 60er Jahren auffrischt.

Ein wichtiges Argument für die Befürworter des Neuen Geistlichen Liedes, ist die Überlegung, mit dieser Musik Jugendliche zu motivieren, die Gottesdienste zu besuchen.

In einem Jugendgottesdienst kann man demnach immer Neues Geistliches Lied als Musikform erwarten, um dadurch die Messfeier für Jugendliche attraktiv zu machen.

Ein wichtiger Schritt in die richtige Richtung, denn über Musik identifizieren sich viele Jugendliche (vgl. Baake/Ferchhoff „Jugend und Kultur“), und nur wenn ihnen die Musik bei einer Veranstaltung zusagt, ist das Gelingen der Veranstaltung garantiert. (Kein Jugendlicher der HipHop-Fan ist, besucht einen ganzen Abend lang eine Techno-Disco.)

Aber der Anspruch an die Qualität der Musik ist heute sehr hoch:

Die Jugend „verhält sich sehr kritisch gegenüber jedem Versuch, sie in die Kirche zu „ziehen“. Wenn jemand Popmusik in der Kirche macht, um mit diesem Anziehungsmittel Jugendliche zu gewinnen, erwarten jene Jugendlichen, die zunächst wegen der Popmusik und nicht wegen der „Kirche“ kommen, auch jene Qualität, die ihnen von Pop-Konzerten oder Tonträgern vertraut ist“ (Kropf in: Musch 1994, S.190)

Diese Aussage macht deutlich, dass die Musik alleine noch keine Garantie dafür gibt, Jugendliche zum Besuch eines Gottesdienstes zu bewegen, zumal die, als „Neues Geistliches Lied“ bezeichnete Musik, stilistisch überaltert ist. (Vgl. dazu das Kapitel: „Streifzüge durch die gottesdienstliche Musiklandschaft“)

Nach einem „Jugendgottesdienst“ in Darmstadt äußerte sich der Kaplan mir gegenüber folgendermaßen: „Die „neue“ Musik ist zum Standart in der Kirche geworden, und „diejenigen, die [zum Jugendgottesdienst] kommen, sind zwischen 30 und 40 Jahre alt, weil das „ihre“ Musik der 70er und 80er Jahre war.“ (Kaplan Christoph Werner, St. Ludwig, Darmstadt, nach einem Regional-Jugendgottesdienst am 17.12.2000).

Hat damit der „Jugendgottesdienst“ sein Ziel verfehlt ?

  

  1. Strukturen ändern !

 Wenn wirklich die Musik das einzige Zugpferd der Kirche wäre, wäre das doch sehr traurig. Aber Kirche darf sich nicht zu einer Performance-Plattform für Musik degradieren lassen. Wer gute Musik haben will, kann in ein Konzert gehen, sich eine CD in die Musikanlage legen, den Fernseher anschalten oder in die Disco gehen. Kirche hat mehr zu bieten!

Und deshalb muss meiner Meinung nach zuerst einmal am Inhalt und der Struktur des Gottesdienstes gearbeitet werden. Junge Menschen sind in ihrer Lebensweise sehr sprunghaft und flexibel – dem gegenüber stehen die starren Abläufe in einer Messfeier.

Rituale schaffen zwar eine gewisse Ordnung, wie ich aus der eigenen Praxis im Schulunterricht weiß (Vgl. Petersen: „Rituale für kooperatives Lernen“), aber in so gehäufter Form, wie im Gottesdienst, tragen sie zur Mechanisierung der Abläufe bei. Viele sind sich nicht einmal mehr bewusst, was sie da eigentlich als vorgegebene Antworten sagen: In der Kath. Messfeier ruft der Priester: „Erhebet die Herzen“ – die Gemeinde antwortet: „Wir haben sie beim Herrn“, worauf der Priester erwidert: „Das ist würdig und recht“. Und was heißt das nun genau ?

So könnten mehrere Beispiele von Dialogen, Texten und Handlungen genannt werden, die seit Jahren im Gottesdienst praktiziert werden und die so verinnerlicht wurden, dass man gar nicht mehr darüber nachdenkt, was eigentlich deren Aussage und Ziel ist.

Für Jugendliche wirken diese Rituale unverständlich und schrecken erst einmal ab.

Die Jugendlichen müssen sich von der Form des Gottesdienstes angesprochen fühlen, um wieder öfter in der Kirche zu erscheinen, und nicht von der Uhrzeit, der Musik oder der Titulierung!

Dass es dafür bereits gute Ansätze gibt, habe ich selbst schon erleben dürfen: Entweder in Form eines Mitmachgottesdienstes, bei dem die Gemeinde in alle Handlungen eingebunden wird, selbst Instrumente spielen darf (besonders Percussion-Instrumente bieten sich hierbei an) und häufige Phasenwechsel im Ablauf eingeplant sind; eines Gospelgottesdienstes, der natürlich wiederum sehr musiklastig ist, bei dem aber auch getanzt und geredet werden darf; oder bei Themengottesdiensten, die völlig aus ihren bisherigen Strukturen herausgenommen werden und durch Anspiele, Theaterstücke, Interviews, Tanzeinlagen und Overhead-Präsentationen aufgelockert werden. Zu dem entsprechenden Thema wird gegebenenfalls ein „Experte“ eingeladen, der Fragen der Gemeinde beantwortet. Bei den Fürbitten sind alle Gemeindemitglieder eingebunden, indem sie ihre Bitten auf Zettel schreiben, die von dem Pfarrer oder einem Helfer vorgetragen werden. Natürlich darf auch hier eine Band oder eine Gitarre nicht fehlen die mit moderner Musik zum Ablauf passt.

Solche Gottesdienste bedürfen jedoch einer längeren Vorbereitung und verlangen ein Team von Leuten die im Gottesdienst mitwirken.

  

  1. Der Begriff „Jugendgottesdienst“ ist überholt!

 Seit einigen Jahren setzt sich in den Kirchengemeinden nach und nach das Neue-Geistliche- Liedgut, auch in den Gesangs- und Gebetsbüchern durch. Es wird häufig mit der Orgel begleitet und diese Lieder, die ab ca. 1960 entstanden, sind fester Bestandteil der Kirchenmusik geworden. Selbst im Sonntagsgottesdienst spielen häufig Bands oder Bläserensemble, singen Jugendchöre oder Kinderscholen, so dass das NGL nicht mehr eine besondere Musikform ist, sondern neben altbekannten Liedern immer öfter gesungen wird.

Das Werbemittel „moderne Musik“ für einen Jugendgottesdienst hat damit eigentlich ausgedient, denn jeder Gottesdienst sollte ein Gottesdienst für alle Gemeindemitglieder sein und in jeder Messfeier für alle Altersschichten etwas „dabei sein“, was sie besonders anspricht. Warum also differenzieren zwischen Jugend und „Rest der Gemeinde“ ?

Erst wenn die Jugend merkt, dass ihre Wünsche und auch ihre Musik und Vorstellungen in den sonntäglichen Gottesdienst integriert werden, fühlt sie sich als vollwertiges Gemeindemitglied für das nicht ein extra Gottesdienst geschaffen werden muss.

Eine Gemeinde ist doch viel lebendiger und spiegelt eher die Gesellschaft wieder, wenn im Gottesdienst Menschen aller Altersschichten sitzen und nicht das Durchschnittsalter einer „typischen“ sonntäglichen Gemeinde (egal ob evangelisch oder katholisch) bei etwa 55 – 60 Jahren liegt.

Dafür muss an der Integration der Jugend in der Gemeinde, an der Form und Struktur des Gottesdienstes und an der Mitwirkung der Kirchenbesucher in der Messfeier gearbeitet werden.

Denn dann drücken wir nicht die schwere Kirchentüre nach einer Stunde auf und freuen uns endlich wieder ins Freie (und zum Mittagessen) zu kommen, sondern nun hat etwas unser Herz bewegt und es wird sich niemand beschweren, „wenn die Kirche wieder über eine Stunde gedauert hat, weil der Pfarrer so lange gepredigt hat“ (Zitat eines Kirchenbesuchers).

 

(c) 2003 by René Frank

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