Guido von Arezzo
- von Rene Frank -
Inhalt :
Leben und Wirken
Guido´s Tonskala
Diaphonie
Das Guidonische Notensystem
Solmisation
Die Guidonische Hand
1. Leben und Wirken
Wenn man sich mit der Musik und Musiklehre des Mittelalters beschäftigt, stößt man irgendwann unumgänglich auf den Namen eines Benediktinermönches aus dem Kloster Pomposa bei Ravenna : nämlich Guido von Arezzo. Dieser Mann prägte wie kein anderer die Geschichte und Pädagogik unserer Musik.Guido von Arezzo, der von ca. 992 - 1050 lebte und in Arezzo in der Toscana geboren wurde, wird nachgesagt, daß er sowohl die Notenschrift, das Monochord, die Solmisation, als auch den Kontrapunkt erfunden haben soll. Vieles davon läßt sich nach heutigem Stand der Wissen-
schaft auch wirklich auf ihn zurückführen.
Guido war ein Mann von vorwiegend praktischem Sinn. Er war Chorleiter, Sänger, Lehrer aber auch Wissenschaftler. Zu seinen Lebensaufgaben zählten die Verbesserung des Unterricht-
es („Ein besserer, rascher und sicher zum Ziele führender Unterricht tut Not"), so daß man z.B. ein Lied nach ca. einem Monat vom Blatt singen konnte, und daß er sich daran hält, was
die Kirche von ihm erwartet und seinen Schülern Nutzen bringt. („Ich kümmere mich nur um dasjenige, was der Kirche nützt und unsere Kleinen vorwärts bringt").
Diese Ziele verfolgte er stets mit Eifer und Ausdauer, egal wie die Umwelt auf ihn reagierte.
So mußte Guido von Arezzo auch einmal eine Verbannung aus seinem Kloster hinnehmen, da
den anderen Mönchen nicht gefiel, was Guido lehrte. Aber Papst Johannes XIX. war so begeistert von den „Erfindungen" Guido´s, daß der Papst ferner ein Beschützer und Gönner
Guido´s blieb.
Als Lehrer übte er das Gehör seiner Schüler, lehrte sie nach sicheren Kennzeichen zu unter-
scheiden, wo ein Ganzton und wo ein Halbton liegt und schulte das Gedächtnis seiner Knaben.
Als Wissenschaftler und Theoretiker legte er die Grundlage für unser gesamtes Musikverständ-
nis.
2. Guido´s Tonskala
Die Grundlage seiner Wissenschaftlichen Arbeit bildet eine, aus einundzwanzig Tönen bestehende Tonskala, welche nach Guido die „Noten des Monochords*" sind.
Diese Töne sind :
G A B C D E F G a b h c d e f g aa bb hh cc dd
Als Beginn der Skala wird der Ton mit dem Namen Gamma
gesetzt, der allerdings nicht auf die Rechnung von Guido geht, sondern schon
mindestens 1 Jahrhundert vorher bekannt war.
Der Grund, warum der Ton Gamma und nicht G genannt wurde liegt darin, daß man
in den
höheren Oktaven bereits ein G und g hatte und daher für den gleichlautenden
tiefsten Ton den
griechischen analogen Buchstaben nehmen mußte.
Guido schrieb damals schon vor, daß die Töne „b" und „h" „niemals in derselben musikalischen Phase vorkommen dürfen, sowenig, als am Himmel zugleich die Zeichen des Widders und der Waage funkeln können".
„Das „weiche b", wie es genannt wurde, sollte in den Gesängen benutzt werden, die von F ihren Ausgang nehmen", so die Aussage Guidos . Somit war zu dieser Zeit schon einen zweite Tonart definiert, analog unserer F-Dur-Reihe.
Halbtonschritte waren zwischen den Tönen e -f und h - c.
Begann man nun die Tonskala nicht von g aus zu singen sondern von f, e, d oder c, so hatte man die 4 Kirchentonarten Dorisch, Phrygisch, Lydisch und Mixolydisch, die jeweils ihre Halbtonschritte an verschiedenen Stellen haben.
Trotz dieser Variationen und Anfängen der Transposition,
blieb die Skala von G bis ee das
Fundament aller Musik und damit die sogenannte Grundskala.
3. Diaphonie
Der Begriff Diaphonie bezeichnet im Mittelalter die erste Entwicklungsphase der Mehrstimmigkeit. Ein anderer Begriff hierfür ist „Organum".
Guido von Arezzo war der erste Musiktheoretiker, der ein Organum in Quarten statt in Quinten lehrte, da „diese unsere Diaphonie weicher ist als die scharfe Quinte".
Damit war er derjenige, der das Verbot der Quintparallen begründet hat.
Die einzelnen Stimmen dürfen sich jedoch zum Schluß eines
Liedes einander nähern und im Einklang enden. (Zusammenlauf)
Außer der Quarte sind bei Guido noch der Ganzton, die große und kleine Terz
und auch die Sekunde erlaubt, die damals noch als wohlklingend empfunden wurde.
Erstmalig ist bei Guido allerdings auch, daß er die Terz als geeignetes Intervall für die Mehrstimmigkeit (organum) betrachtet und verwendet.
Mit der Verwendung dieser oben genannten Intervalle, ist die
Grundlage geschaffen, um die
Mehrstimmigkeit, wie sie dann im Barock erlangt wird, auszubauen.
4. Das Guidonische Notensystem
Am Anfang seines musikalisch-wissenschaftlichen Arbeitens, verwendete Guido von Arezzo die zu seiner Zeit übliche Buchstabennotierung, um eine Tonfolge aufzuschreiben. So wurde z.B. c - g geschrieben um aufzuzeigen, daß nun vom c zum g gesungen werden solle. Das Problem war damals nur, daß man nicht wußte ob eine Quinte nach oben oder eine Quarte nach unten gesungen werden soll. Musiktheoretiker seiner Zeit lösten dieses Problem, indem sie das Steigen oder Fallen der Melodie durch die Stellung der Buchstaben versinnbildlichten.
Um die Schreib- und damit auch Leseweise der Notation noch einfacher zu gestalten, ist es Guido´s Idee gewesen, die damals üblichen Neumen* statt einfach nebeneinander zu notieren, in ein System von vier Linien zu setzen. Zwei dieser Linien, nämlich die F- und die C-Linie wurden zudem noch farblich hervorgehoben, damit sie ganz einfach zu lesen sind und zudem wurde auch noch ein sogenanntes Schlüsselzeichen (analog zu unserem heutigen Notenschlüssel) an den Anfang des Systems gesetzt, falls ein Schreiber der Noten gerade mal keine Farben zur Hand hatte.
Die F-Linie wurde rot gemalt und die C-Linie gelb und die zwei anderen Linien schwarz. Somit konnte man in das Notensystem 9 verschiedene Notennamen einzeichnen, welche den damals gültigen Umfang eines Kirchentones repräsentierten, wenn man auch die Zwischenräume im System mitbenutzte. Damit die Umstellung auf das neue Notensystem für die Musiker zu Guidos Zeit nicht zu kompliziert war, behielt er die Formen der Neumen bei und setzte diese einfach in das System ein, obwohl es entschieden einfacher gewesen wäre, die verschlungenen Neumen durch Punkte zu ersetzen.
Guido hat also die uns heute bekannte Notenschrift nicht
erfunden, sondern hat nur den Grundstein für ein noch besseres Notensystem
gelegt. Erst in den Zeiten nach ihm, kam man auf die Idee, die verschnörkelten
Linien der Neumenschrift durch rautenförmige oder quadratische Figuren zu
ersetzen, die dann viel besser in das 4-Linien-System Guidos paßten, als
irgendwelche Circumflexe oder Poreccti.
Noch in unserer Zeit wird das 4-Linien-System bei den Gregorianischen Gesängen
der kath. Kirche verwendet, obwohl sich seit dem 13. Jahrhundert das
5-Linien-System als allgemeinübliches Notationssystem in der Musik durchsetzte.
5. Solmisation
Unter Solmisation versteht man ein System von
Tonbezeichnungen unter Verwendung der Tonsilben Ut, re, mi, fa, sol, die
bestimmten Tönen zugeordnet werden.
In der Praxis bedeutete dies, daß Guido von Arezzo seinen Schülern das Merken
von Tönenlehren wollte und sich zu diesem Zwecke einem alten lateinischen
Hymnus bediente, der folgenden Text hatte:
Ut queant laxis / resonanre fibris / mira gestorum / famuli tuorum / solve polluti / labii reatum /
Sancte Johannes.
Das Lied erschien Guido deshalb so passend, weil seine sechs Verse nacheinander mit den sechs Tönen der Skala von C bis a in regelmäßiger Folge anfangen.
Dem C wurde die Silbe Ut zugeordnet, dem D - Re, dem E - Mi, dem F - Fa, dem G - Sol und dem a - la .
Zwischen den Silben und Tönen mi -fa ist ein Halbtonschritt, sonst ein Ganztonschritt.
Aus diesen Grundzügen entwickelte sich im Laufe der Zeit die ganze Solmisation.
Guido selbst erwähnt in seinen Schriften zwar nichts über die Solmisation, aber er muß sie wohl mündlich seinen Schülern gelehrt haben, da schon 1113 Sigebertus Gemblacensis in seiner Chronik zum Jahre 1028, also keine Hundert Jahre nach Guido, ihm die Erfindung der Solmisation zuschreibt.
Die aufsteigende Folge der Töne von C bis a wurde auch
Hexacordum naturale genannt. Wurde diese Sechstonreihe auf F gebildet, so hieß
sie Hexacordum molle (der Halbtonschritt mi - fa forderte das „b molle" ,
also das oben erwähnte „runde b") und von G aus hieß die Folge
Hexacordum durum. (Hier mußte jetzt das „b durum", also das h verwendet
werden.)
Dieses System hielt sich immerhin 6 Jahrhunderte in der Musik, bis es im 17.
Jahrhundert durch die Fixierung von Dur und Moll überflüssig wurde.
6. Die Guidonische Hand
Um sich das komplizierte Prinzip der Solmisation,
einschließlich der Mutation auf den Tonbuchstaben F und G zu merken,
entwickelte Guido von Arezzo ein Modell, auf dem die Ganz- und Halbtonschritte
ganz leicht abzulesen waren, und die Mutation (d.h. der Wechsel von einer Tonart
in die andere) zu verstehen war.
Um dieses Modell ständig parat zu haben, übertrug er es als Modell in die
geöffnete linke Hand.
Hier sei nun das Modell noch einmal genau aufgezeigt :
Die ganz links stehende Buchstabenreihe, gibt die, in Kapitel 2 erläuterte Tonskala wieder.
Bei dem Ton C beginnt die „normale" Sechstonreihe nach dem Hymnus über Sankt Johannes. (siehe Kapitel 5). Diese geht bis zum Ton a. Auf dem Ton F und G können aber auch schon wieder Sechstonreihen einsetzen (Hexacordum molle und durum), sodaß einige Töne Mehrfachbenennungen haben. Wichtig ist nur, daß zwischen mi und fa immer ein Halbtonschritt liegt.
Zum Beispiel hat der Ton G die Solmisation sol (Hexacord auf C), re (Hexacord auf F) und ut (Hexacord auf G). Das G kann also entweder sol, re oder ut sein.
So funktioniert das Schema mit allen anderen Tönen, bis auf B, da dies je nach Hexacord entweder erhöht (H) oder erniedrigt (B) sein muß.
Der Ton B ist also immer nur „mi" (= H ; bei Hexacord auf G) oder „fa" (= B ; bei Hexacord auf F).
Dieses hier erläuterte Schema übertrug nun Guido auf die oben erwähnte Hand:
Im Daumen beginnend zieht sich die Tonleiter über alle 19 Gelenke der linken Hand und zeigt an, welcher Ton in welchem Hexacord wie benannt wird.
Guido von Arezzo selbst macht in seinen Schriften auch über diese Hand keinerlei Angaben, aber bereits in einer Handschrift im Monze Casino aus dem 11. Jahrhundert ist sie als „Guidonische Hand" zu finden.
Es gibt zwar viele Abwandlungen und Vereinfachungen der Handdarstellung, aber vom Prinzip orientieren sich alle an der oben beschriebenen Darstellung.
Wie man jetzt hier lesen konnte sind also viele Dinge in unserer heutigen Musik auf die Forschung und Erfindung Guido von Arezzo zurückzuführen.
Ob sich ohne sein Bemühen die Musik so entwickelt hätte ist eine Frage, die wohl nie gelöst werden wird.
Erläuterungen/Quellennachweis
Monochord : Ein antikes und mittelalterliches Instrument zur Bestimmung der Intervalle an-
hand der Saitenteilung. Es besteht in der Regel aus einem länglichen Resonanz-
kasten, über den eine Saite gespannt ist. Diese wird durch einen verschiebbar-
en Steg in zwei Abschnitte geteilt.
Neumen : Notenzeichen des Mittelalters, mit denen die einstimmigen Melodien aufge-
zeichnet wurden. In der Geschichte stehen sie zwischen den Buchstabenton-
schriften der Antike und des frühen Mittelalters und den aus den Neumen ent-
wickelten Quadratnoten.
Quellenangaben :
August Wilhelm Ambros : Geschichte der Musik, Leipzig 1891Schülerduden : Die Musik, Meyers Lexikonverlag Mannheim 1989
Norman Lloyd : Großes Lexikon der Musik, Orbis Verlag München 1987
Gregorianische Gesänge : Eine Auswahl zum Kirchenjahr, Christopherus-Verlag Freiburg 1987
Joseph Smits van Waesberghe : Musikerziehung, VEB Leipzig
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